Viele Menschen kennen das Phänomen: Sie leiden unter chronischen körperlichen Beschwerden – seien es Rückenschmerzen, Allergien, Verdauungsprobleme oder ständige Erschöpfung –, doch die klassische Medizin findet keine eindeutige organische Ursache. Die Symptome sind real und belastend, aber die zugrundeliegende Quelle bleibt im Dunkeln. Genau hier setzt die Psychokinesiologie (PK) an, ein alternativmedizinisches Heilverfahren, das eine direkte Brücke zwischen seelischen Belastungen und körperlichen Reaktionen schlägt.
Die zentrale These der Psychokinesiologie lautet, dass viele dieser unerklärlichen Leiden ihre Wurzeln in unbewussten, unverarbeiteten seelischen Konflikten haben. Sie ist ein Versuch, über den Körper einen Dialog mit dem Unterbewusstsein zu führen, um diese verborgenen Stressoren aufzudecken und aufzulösen. Dieser Artikel erklärt die theoretischen Grundlagen, das zentrale Werkzeug des Muskeltests und den Ablauf einer typischen Behandlung.
Das Wichtigste in Kürze
- Ganzheitlicher Ansatz: Die Psychokinesiologie ist eine Diagnose- und Therapiemethode, die eine direkte Verbindung zwischen ungelösten seelischen Konflikten (USK) und körperlichen Symptomen oder Krankheiten herstellt.
- Das zentrale Werkzeug: Hauptinstrument der PK ist der kinesiologische Muskeltest. Er soll als körpereigenes Biofeedback-System dienen, um unbewusste Stressoren und Konflikte zu identifizieren, die das autonome Nervensystem belasten.
- Ziel der Behandlung: Durch das Bewusstmachen und anschließende „Entkoppeln“ der aufgedeckten Konflikte soll das Nervensystem entlastet und dem Körper die Möglichkeit zur Selbstheilung zurückgegeben werden.
- Wichtiger Hinweis: Die Psychokinesiologie ist ein Verfahren der Komplementärmedizin, das von der Schulmedizin nicht wissenschaftlich anerkannt ist. Sie ersetzt keine notwendige ärztliche oder psychotherapeutische Diagnostik und Behandlung.
Die theoretische Grundlage: Das Modell nach Dr. Klinghardt
Entwickelt wurde die Psychokinesiologie in den 1980er-Jahren von dem deutschen Arzt Dr. Dietrich Klinghardt. Sein Modell basiert auf der Annahme, dass traumatische oder stark belastende Erlebnisse, die wir im Laufe unseres Lebens nicht adäquat verarbeiten konnten, im Unterbewusstsein als „Unerlöster Seelischer Konflikt“ (USK) gespeichert werden.
Der Körper als Ausdrucksmedium: Laut dieser Theorie verbleiben diese Konflikte nicht passiv im Unterbewusstsein. Sie erzeugen eine Art chronischen, unterschwelligen Stress, der das autonome Nervensystem (ANS) permanent in einen „Kampf-oder-Flucht“-Modus versetzt. Das ANS ist die Steuerzentrale unserer unbewussten Körperfunktionen wie Herzschlag, Verdauung und Immunsystem. Ist es dauerhaft fehlreguliert, kann dies den Körper schwächen und an einer bestimmten, oft genetisch bedingten Schwachstelle zu körperlichen Symptomen führen. Der Körper drückt also das aus, was die Seele verdrängt hat.
Der kinesiologische Muskeltest: Das „Gespräch“ mit dem Unterbewusstsein
Um diese unbewussten Konflikte aufzudecken, nutzt die Psychokinesiologie den kinesiologischen Muskeltest. Er fungiert als eine Art manuelles Biofeedback-System.
Der Ablauf des Tests: Der Therapeut bittet den Patienten in der Regel, einen Arm seitlich auszustrecken. Zuerst wird eine neutrale Ausgangsbasis geschaffen, indem der Therapeut leichten Druck auf den Arm ausübt und der Patient gegenhält. Der Muskel sollte hierbei mühelos „stark“ testen, also dem Druck standhalten.
Die Theorie dahinter: Nun konfrontiert der Therapeut den Patienten mit einer potenziellen Stresssubstanz oder einem Gedanken. Der Patient soll zum Beispiel an ein bestimmtes Ereignis denken, eine Emotion fühlen oder eine Substanz (z.B. ein Allergen in einem Glasröhrchen) in die Hand nehmen. Die Annahme der Kinesiologie lautet: Löst dieser Reiz im Unterbewusstsein Stress aus, führt dies zu einer kurzzeitigen, messbaren Schwächung des autonomen Nervensystems. Diese Schwächung manifestiert sich unmittelbar in der Muskelspannung. Der zuvor starke Armmuskel wird bei erneutem Testen plötzlich „schwach“ und gibt dem leichten Druck des Therapeuten nach.
Ein schwacher Muskeltest wird als „Ja“ des Unterbewusstseins auf die Frage „Ist dies ein Stressfaktor für dich?“ interpretiert. Ein starker Muskeltest wird als „Nein“ gewertet. Auf diese Weise versucht der Therapeut, den bewussten Verstand zu umgehen und direkt mit dem Körpergedächtnis zu kommunizieren.
Der Ablauf einer typischen PK-Sitzung
Eine psychokinesiologische Behandlung folgt meist einem strukturierten Schema:
- Anamnese und Test der Ausgangslage: Zunächst werden in einem Gespräch die aktuellen Beschwerden und die Lebensgeschichte des Patienten erörtert. Anschließend prüft der Therapeut mit einigen Vortests, ob das Nervensystem des Patienten überhaupt regulationsfähig und der Muskeltest eindeutig ist.
- Aufdeckung des Konflikts: Mithilfe des Muskeltests werden nun systematisch relevante Stressoren abgefragt. Der Therapeut kann den Patienten bitten, an bestimmte Lebensalter, Personen oder belastende Ereignisse zu denken, um den Zeitpunkt des ursprünglichen Traumas (USK) zu identifizieren.
- Die Entkopplung: Ist der ursprüngliche Konflikt gefunden und dem Patienten bewusst gemacht, folgt die eigentliche therapeutische Intervention. Ziel ist es, die starke emotionale Ladung von der abgespeicherten Erinnerung zu „entkoppeln“. Hierfür nutzt die PK verschiedene Techniken, oft in Kombination:
- Klopfakupressur: Der Patient beklopft bestimmte Akupunkturpunkte, während er sich auf den Konflikt konzentriert.
- Mentale Affirmationen: Das laute Aussprechen von lösenden Sätzen.
- Therapeutische Augenbewegungen: Spezifische Augenbewegungen sollen dem Gehirn helfen, die belastende Information neu zu verarbeiten (ähnlich der EMDR-Methode).
- Überprüfung: Nach der Entkopplung wird der ursprüngliche Stressor erneut getestet. Laut Theorie sollte der Muskel nun „stark“ bleiben, was als Zeichen für die erfolgreiche Auflösung des unbewussten Konflikts gewertet wird.
Anwendungsgebiete und wissenschaftliche Einordnung
Anwender der Psychokinesiologie berichten von Erfolgen bei einer Vielzahl von Beschwerden, insbesondere bei chronischen Schmerzen ohne klaren organischen Befund, Allergien, chronischer Müdigkeit sowie bei der Auflösung von Ängsten oder Lernblockaden.
Es ist jedoch von entscheidender Bedeutung zu betonen, dass die Psychokinesiologie und der kinesiologische Muskeltest als Diagnoseinstrument von der Schulmedizin nicht wissenschaftlich anerkannt sind. Ihre Wirksamkeit konnte in kontrollierten Studien bisher nicht über Placebo-Effekte hinaus nachgewiesen werden. Sie ersetzt keinesfalls eine notwendige ärztliche Diagnostik zur Abklärung körperlicher Symptome oder eine anerkannte Psychotherapie bei schweren seelischen Erkrankungen.
Fazit
Das Prinzip der Psychokinesiologie basiert auf dem faszinierenden und nachvollziehbaren Gedanken, dass Körper und Seele eine untrennbare Einheit bilden. Sie bietet einen strukturierten Ansatz, um über den Körper mögliche seelische Ursachen für körperliche Leiden zu erforschen. Für Menschen, die das Gefühl haben, dass ihre Symptome tieferliegende emotionale Wurzeln haben könnten, kann die PK eine interessante und potenziell hilfreiche, ergänzende Perspektive bieten. Der Weg in eine solche Behandlung sollte jedoch immer mit einem kritischen Bewusstsein und idealerweise in Absprache mit einem vertrauten Arzt oder Therapeuten erfolgen
